Innovative Marktforschung und der Datenschutz
Amtsgericht Heidelberg, 27 C 45/12, Urteil vom 08.08.2012
1. Der beklagten Partei wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung hiermit angedrohten Ordnungsgeldes bis zu Euro 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft an dem Geschäftsführer der beklagten Partei zu vollziehen ist, untersagt, im geschäftlichen Verkehr zu Werbezwecken mit der klagenden Partei zur Aufnahme eines erstmaligen geschäftlichen Kontakts per E-Mail Kontakt aufzunehmen, ohne dass die ausdrückliche Einwilligung der klagenden Partei vorliegt.2. Die beklagte Partei wird verurteilt der klagenden Partei Auskunft darüber zu geben, welche Daten zur Person der klagenden Partei bei der beklagten Partei gespeichert sind, auch soweit sie sich auf Herkunft und Empfänger beziehen, welcher Zweck mit der Speicherung dieser Daten verfolgt wird und an welche Personen oder SteIlen diese Daten übermittelt wurden.
3. Die beklagte Partei wird verurteilt den von der klagenden Partei verauslagten Gerichtskostenvorschuss von Euro 315.00 seit 13.02.2012 mit Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.
[…]
Tatbestand
Mit der Klage werden Ansprüche geltend gemacht wegen Unterlassung unerwünschter Werbung
per E-Mail sowie wegen Auskunft.
Am 14 11.0911008 erhielt die klagende Partei, ein Rechtsanwalt, an die beruflich genutzte Adresse xxx
per E-Mail eine Nachricht über eine Teilnahmemöglichkeit an einer
Studie.
Die Beklagte betreibt ein Marktforschungsinstitut.
Die klagende Partei hat die beklagte Partei am 16.12.2011 unter dem Verlangen einer Unterlassungserklärung
abgemahnt und zur Auskunft aufgefordert unter Fristsetzung zum 30.12.2011.
Obwohl die klagende Partei in der E-Mail vom 16.12.2011 darauf hingewiesen hatte, dass keine
telefonischen Verhandlungen stattfinden würden, kontaktierte die Beklagte die klagende Partei telefonisch.
Die Aufforderung zur Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung und zur Auskunft
war erfolglos.
Die klagende Partei behauptet:
Es liege eine unzulässige Beeinträchtigung vor. Es handle sich nicht um eine Marktforschung,
sondern um Werbung für eine Marktforschung und um einen Werbung gleichzusetzenden Vorgang.
Es bestehe Wiederholungsgefahr.
Die klagende Partei beantragt:
Der beklagten Partei wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung hiermit
angedrohten Ordnungsgeldes bis zu Euro 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft,
oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft an dem Geschäftsführer
zu vollziehen ist, untersagt, im geschäftlichen Verkehr zu Werbezwecken mit der klagenden
Partei zur Aufnahme eines erstmaligen geschäftlichen Kontakts per E-Mail Kontakt
aufzunehmen, ohne dass die ausdrückliche Einwilligung der klagenden Partei vorliegt.
Die beklagte Partei wird verurteilt der klagenden Partei Auskunft darüber zu geben, weIche Daten zur Person der klagenden Partei bei der beklagten
Partei gespeichert sind, auch soweit sie sich auf Herkunft und Empfänger beziehen, welcher Zweck mit der Speicherung
dieser Daten verfolgt wird und an welche Personen oder Stellen diese Daten
übermittelt wurden.
Die beklagte Partei wird verurteilt den von der klagenden Partei verauslagten Gerichtskostenvorschuss
von Euro 315.00 seit 13.02.2012 mit Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.
Die beklagte Partei beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die beklagte Partei behauptet:
Es handle sich nicht um Werbung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Unterlassungsanspruch der klagenden Partei ergibt sich aus §§ 823, 1004 BGB. Die unerlaubte
Zusendung der Anfrage per E-Mail stellt einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb dar. Bereits die einmalige unverlangte Zusendung einer
E-Mail mit Werbung stellt einen rechtswidrigen Eingriff dar.
Bei der Anfrage der beklagten Partei handelt es sich um Werbung. Es wird für eine Studie geworben.
Es wird für die Mitwirkung ein Honorar versprochen.
Selbst wenn es sich um Marktforschung handeln würde, wäre die Anfrage vorliegend einer Werbung
- unabhängig davon, ob die Studie im Auftrag oder auftraggeberunabhängig durchgeführt
wird - gleichzusetzen, denn es geht um ausschließlich kommerzielle Interessen der Förderung
des Warenumsatzes bzw. der Erbringung von Dienstleistungen. Nachfragehandlungen wie vorliegend
fallen unter den Begriff der Werbung.
Durch die Zusendung von E-Mails zu Werbezwecken entsteht eine Belästigung für den Empfänger
sowie eine Beeinträchtigung des Betriebsablaufs, die dieser nicht hinzunehmen braucht. Nähere
Feststellungen zur Frage der Belästigung sind nicht erforderlich, denn es ist allgemein bekannt,
dass - soweit kein festes Entgelt vereinbart ist - für den Empfang von E-Mails zusätzliche
Kosten für die Herstellung der Online-Verbindung und die Übermittlung der E-Mail erforderlich sein
können und dass mit dem Sichten und Aussortieren unerlaubter E-Mails ein zusätzlicher Arbeitsaufwand
verbunden ist. Die Zusatzkosten für den Abruf der einzelnen E-Mails können zwar gering
sein. Auch der Arbeitsaufwand für das Aussortieren einer E-Mail kann sich in engen Grenzen halten,
wenn sich bereits aus dem Betreff entnehmen lässt, dass es sich um Werbung handelt. Anders
fällt die Beurteilung aber aus, wenn es sich um eine größere Zahl unerbetener E-Mails handelt
oder wenn der Empfänger der E-Mail ausdrücklich dem weiteren Erhalt von E-Mails widersprechen
muss.
Der Eingriff ist auch rechtswidrig. Jede Werbung unter Verwendung elektronischer Post ohne vorherige
Einwilligung des Adressaten ist eine unzumutbare Belästigung. Die Zusendung einer
E-Mail zu Werbezwecken ist nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn der Empfänger ausdrücklich
oder konkludent sein Einverständnis erklärt hat, E-Mail-Werbung zu erhalten, oder wenn - gegenüber
Gewerbetreibenden - auf Grund konkreter tatsächlicher Umstände ein sachliches Interesse
des Empfängers vermutet werden kann.
Der Eingriff ist rechtswidrig. Die Interessenabwägung führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass das
Interesse des Klägers an einer ungestörten Ausübung seiner Tätigkeit höher zu bewerten ist als
das kommerzielle Interesse der beklagten Partei Teilnehmer für eine Studie auf bequeme und
kostengünstige Art zu finden. Der Kläger hatte außerdem der Zusendung von Werbung auf der Internetseite
widersprochen und war in der Robinsonliste aufgeführt. Internetseite und Robinsonliste
wären für die Beklagte ohne großen Aufwand einsehbar gewesen.
Die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr besteht. Der Verstoß
der beklagten Partei begründet die tatsächliche Vermutung für seine Wiederholung. Die durch
einen bereits begangenen Verstoß begründete tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer
Wiederholungsgefahr ist von der beklagten Partei zu widerlegen, wobei an den Nachweis des
Entfallens der Wiederholungsgefahr hohe Anforderungen zu stellen sind. Die durch einen bereits
begangenen Verstoß begründete tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr
hätte vorliegend durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt
werden können. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung wurde unstreitig, auch im
Rechtsstreit, nicht abgegeben.
Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs ist nicht wegen Verstoßes gegen die Grundsätze
von Treu und Glauben ausgeschlossen.
Der Anspruch der klagenden Partei ist nicht auf die E-Mail-Adresse(n) der klagenden Partei beschränkt,
an die die beklagte Partei bislang bereits E-Mails versandt hat. Der Unterlassungsanspruch
umfasst nicht nur die konkrete Verletzungshandlung, sondern auch im Kern gleichartige
Handlungen.
Der klagenden Partei steht ein Anspruch auf Auskunft unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes
zu.
Die klagende Partei als Betroffener kann Auskunft verlangen über die zu seiner Person gespeicherten
Daten, auch soweit sie sich auf die Herkunft dieser Daten beziehen, Empfänger oder Kategorien
von Empfängern, an die Daten weitergegeben werden, und den Zweck der Speicherung.
Daneben hat die klagende Partei einen Auskunftsanspruch über Personen und Stellen, an die seine
Daten übermittelt werden.
Die Forderung auf Erstattung des Zinsschadens rechtfertigt sich als Schadenersatzanspruch und
aus Verzug.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708, 711, 108 ZPO.
Bei der Streitwertfestsetzung hat das Gericht das Interesse der klagenden Partei in diesem Einzelfall
berücksichtigt.